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Psychopharmaka und Arbeitssicherheit

Welche Auswirkungen haben Psychopharmaka auf die Arbeitssicherheit?

Bei Psychopharmaka am Arbeitsplatz ist von einer doppelten Gefährdung der Arbeitssicherheit auszugehen: Erstens durch die Überbelastung der Konsumenten in der Einnahmesituation und zweitens durch die Wirkungen einschließlich der Nebenwirkungen des Medikamentes selber.

"Befragt man Frauen, welche Funktion Schlaf-, Schmerz– und Beruhigungsmittel in ihrem Leben haben, so zeigt sich, dass Arzneimittel, neben der schmerzstillenden, stressmindernden, beruhigenden und angstmindernden Wirkung, vor allen dazu da sind, die Folgen psychischer und physischer Überlastung, wie z.B. Erschöpfung, depressiver Verstimmung, Unruhe und Nervosität oder Schlafstörungen abzupuffern......! (1)

Ständig neue Produkte und damit regelmäßige Veränderungen auf dem Pharmamarkt machen es nahezu unmöglich, jeweils den aktuellsten Stand aufzuzeigen. Das von der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren herausgegebene „Jahrbuch Sucht“ liefert jährlich die neuesten Informationen zum Thema. Die folgende eingeschränkte Aufzählung ohnen Nennung von Handelsnahmen soll Orientierungshilfe für Arbeitssicherheitsfragen sein.

Tranquiluizer

Benzodiazepinhaltige Schlaf– und Beruhigungsmittel haben ein Hohes Abhängigkeitspotential. Sie gehören trotz rückläufiger Tendenz immer noch zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Tranquilizer wirken beruhigend, angstlösend und einschläfernd je nach Höhe der Dosierung. Entsprechend der Anhäufung des Wirkstoffes im Körper können „Hang – over – Effekte“ auftreten, d.h. das eingenommene Medikament wirkt am nächsten Morgen noch nach, ähnlich, wie es beim Restalkohol der Fall ist. Die Einnahme von Tranquilizern setzt die Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsgeschwindigkeit herab. Als Entzugssymptome treten häufig genau die Beschwerden auf, die der Anlass für die Einnahme waren.

Barbiturate

In geringer Dosierung nehmen sie Ängstlichkeit und Anspannung und wirken beruhigend. Bei Verkrampfungen entfalten sie eine muskelentspannende Wirkung. In höherer Dosierung werden sie als Betäubung bei operativen Eingriffen angewandt. Bei regelmäßigem Gebrauch lassen die gewünschten Wirkungen schon nach etwa zwei Wochen nach. Eine Erhöhung der Dosis ist dann vorprogrammiert, aber gefährlich, da u.a. Vergiftungsgefahr besteht. Aufgrund der sedierenden Wirkung sind sowohl mangelnde Konzentration und Unterschätzung von Gefahren als auch verminderte Reaktionsfähigkeit ein Risiko im Strassenverkehr und am Arbeitsplatz.
Barbiturate haben ein starkes Abhängigkeitspotential. Beim Absetzen des Medikaments kommt es zu massiven Entzugssymptomen wie Angstzustände, stetige Unruhe, Schlaflosigkeit bis hin zu Krämpfen.

Analgetika

Bei den Schmerzmitteln gilt es zu unterscheiden zwischen Monopräparaten und Kombinationspräparaten, die neben dem schmerzstillenden Wirkstoff einen Zusatzstoff wie Koffein oder Kodein enthalten. Neben den frei verkäuflichen Schmerzmitteln gibt es die stark wirksamen Schmerzmittel, die verschreibungspflichtig sind. Diese werden z,B. bei Krebserkrankungen, Nieren– und Gallenkoliken oder Migräne eingesetzt. In der dritten Kategorie gibt es Scherzmittel, die Opiate enthalten und unter das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) fallen. Sie machen hochgradig abhängig und werden in der Regel nur bei unheilbaren Krankheiten, die mit stärksten Beschwerden einhergehen, verordnet. Für den Arbeitsplatz sind die zuletzt genannten opiathaltigen Produkte und ihre Auswirkungen weniger relevant.
Am Arbeitsplatz geht es vor allem um Mono–und Kombinationspräparate, die entweder über Selbstmedikation oder über Verschreibung (z.B. Schmerzmittel mit Kodein) eingenommen werden. Schmerzmittel werden nicht immer nur gegen Schmerzen genommen. Bei Schmerzmitteln mit Koffein wird neben der schmerzstillenden Wirkung der belebende Effekt durch das Koffein gesucht. Am Arbeitsplatz muss bei regelmäßigen Schmerzmittelkonsum mit erhöhter Unruhe, nachlassender Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit gerechnet werden. Kombinationen mit Koffein und Kodein erhöhen durch ihre stimulierende Wirkung das Risiko einer Gewöhnung an das Medikament.

Nach dem Absetzen von koffeinhaltigen Medikamenten können Kopfschmerzen als Entzugssymptome auftreten. Da dieser Effekt zeitverzögert auftritt, werden diese Beschwerden nicht als Entzugssymptome gewertet, sondern als Grund genommen, den Schmerzmittelkonsum mit erhöhter Dosierung fortzusetzen. Durch Kombinationspräparate besteht das Risiko der Nierenschädigung:

"In einer Studie war die Erhöhung dieses Risikos bei Kombinationen mit Paracetamol und Koffein auffällig. Die leicht anregende Wirkung des Koffeins scheint Mehrgebrauch entsprechend kombinierter Schmerzmittel nach sich zu ziehen. Insgesamt muss gemutmaßt werden, dass bei 10-15% der dialysepflichtigen patientinnen und Patienten, also bis zu 7.500 der derzeit geschätzten 50.000, ihre Nierenschädigung auf den Vielgebrauch von Schmerzmittelkombinationen, vor allem auch solche mit Koffein, zurückzuführen ist.“ (2)

Neuroleptika

Die Indikation für Neuroleptika sind psychotische Störungen wie Wahnerlebnisse, Halluzinationen und Übererregung bei Schizophrenie. Diese zur Beruhigung eingesetzten Medikamente beeinflussen intensiv das psychische Empfinden.
Gefühlsmäßige Regungen sind stark eingeschränkt, die Patienten sind wie „in Watte gepackt“. Andauernde Müdigkeit, Interessenarmut und eine herabgesetzte Stimmungslage kennzeichnen die Nebenwirkungen dieser Medikamente. Durch dieses Erscheinungsbild ist eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit als gegeben anzunehmen.
Neuroleptika machen nicht körperlich abhängig. Sie sind aufgrund ihrer starken Nebenwirkungen nur bei begründeter Indikation eine Alternative zu anderen Psychopharmaka.

Antidepressiva

Diese Medikamente werden im Umgangssprachgebrauch auch als
"rosarote Brille für die Seele" bezeichnet. Diese Umschreibung beschreibt bereits die Wirkung. Sie ermöglichen persönliche Funktionalität und Belastbarkeit trotz Stress und Missbefindlichkeiten im Alltag.
Bei Antidepressiva sind Absetzsymptome beobachtet worden. Zudem haben sie ähnlich wie bei Neuroleptika starke Nebenwirkungen. Unter der Einnahme kann es zu unwillkürlichen Zitterbewegungen, Störungen der Herztätigkeit, Mundtrockenheit und Sehstörungen kommen. Laut Glaeske sind die Antidepressiva derzeit die unangefochtenen Gewinner der kompensatorischen Aklternativverordnung zu Benzodiazepinen.
Nichts desto trotz bleiben auch Antidepressiva für die Arbeitswelt ein Risiko. Neben den Einschränkungen für die Arbeitssicherheit bei der Einstellung auf das Medikament kann für die Zusammenarbeit im Team eine
"rosarote Brille" auch als störend empfunden werden.

Psychostimulantien

Diese Medikamente werden zur Überwindung von Müdigkeit, in erster Linie zum Aufputschen genommen. Da sie auch das Hungergefühl unterdrücken, sind sie zusätzlich als Appetitzügler im Einsatz. Durch ihre aufputschende Wirkung vermitteln sie das Gefühl erhöhter Leistungsbereitschaft.. Sie sind daher auch bei Beschäftigten beliebt, die ständig Termindruck haben und dauerhaft ein überdurchschnittliches Leistungspensum erbringen müssen. Die Mittel enthalten Amphetamine und werden im Umgangston auch „Weckamine“ genannt. Diese Arzneimittel haben ein hohes Suchtpotential. Sie stellen am Arbeitsplatz ein erhöhtes Risiko dar, da die Konsumierenden zur Selbstüberschätzung neigen und, wenn die Wirkung des Medikaments nachläßt, ganz plötzlich eine Schlafattacke haben können.
Es besteht eine nicht unerhebliche Einschränkung der Arbeitssicherheit durch die Wirkungen und Nebenwirkungen der psychotropen Medikamente. Hier sind neben den Personalverantwortlichen auch die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und vor allem die Betriebsärzte gefordert, die Beschäftigten ausreichend aufzuklären.

Hilfe ist gut, Vorbeugung ist besser!
Wer kann im Betrieb einen Beitrag leisten?

Dieser banale, aber dennoch richtige Satz trifft auf alle Suchtentwicklungen zu. Maßnahmen zur Verhinderung von Medikamentenmissbrauch sind besonders erfolgversprechend.
Zum Thema „Alkohol“ finden im Betrieb inzwischen häufiger Aufklärungskampagnen statt. Bei Informationen zum verantwortungsvollen Gebrauch von psychotrop wirkenden Medikamenten gibt es in der betrieblichen Gesundheitsförderung noch einen Nachholbedarf.

Für den Betrieb ist es wenig hilfreich, Verantwortlichkeiten nach außen zu verlagern und „Arztschelte“ zu betreiben. Sinnvoller erscheint es, Beschäftigte für das Thema „Medikamente“ zu sensibilisieren.
Es wäre denkbar, dass die Fachkräfte für Arbeitssicherheit den Zusammenhang von psychisch wirksamen Medikamenten und Arbeitssicherheitsgefährdung als Informationsbaustein in den Betrieb gibt und damit zur erhöhten Aufmerksamkeit beiträgt.

Führungskräfte könnten in ihrer Abteilung über den erwünschten Umgang mit Medikamenten sprechen und sich den Mitarbeiterinnen gegenüber gesprächsbereit zeigen. Das wäre unter Umständen auch ein Versuch, die Einstiegsmotivation für Medikamentenmissbrauch zu minimieren. Gleichzeitig signalisiert dieses Verhalten die Möglichkeit, das Thema bei Bedarf in der Arbeitsgruppe offen anzusprechen. So lernen auch Kolleginnen und Kollegen, dass die Führungskraft Medikamentenprobleme bei beschäftigten in Betracht zieht. Eine aufgeklärte Arbeitsgruppe ist eher in der Lage, frühzeitig zu helfen.

Der Betriebs– oder Personalrat ist ebenfalls aufgerufen, einen Beitrag zur Vorbeugung von Medikamentenproblemen am Arbeitsplatz zu liefern. Sie können einen kritischen Blick auf die Rahmenbedingungen, unter denen Arbeit stattfindet, werfen. Laut Untersuchungen führen Arbeitsbedingungen, die hohe körperliche, soziale und psychische Belastungen beinhalten und zugleich geringe Handlungsspielräume zum „ Auspuffern“ der Belastungsfolgen bieten, eher zu gesundheitlichen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen. Personen, die unter großem Leistungs– und Zeitdruck arbeiten, sind eher gefährdet. Diese Rahmenbedingungen begünstigen den Gebrauch von Arzneimitteln.
A. Nette fordert in einem Beitrag zum Thema " Medikamentenprobleme am Arbeitsplatz und Einflussmöglichkeiten des Betriebsrates" die Interessensvertretung der Beschäftigten auf, sich für präventive Maßnahmen stark zu machen. Diese gehen weit über eine reine Aufklärungsarbeit der Belegschaft zum Thema „Medikamentenmissbrauch“ hinaus. Ihre Vorschläge zur Prävention könne in den Kontext „Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz“ gestellt werden. Bei allen Forderungen zur Prävention steht immer das achtsame und wertschätzende miteinander Umgehen und der persönliche Kontakt zueinander im Vordergrund. Erfahrungen zeigen, dass in kleineren Organisationseinheiten, in denen Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen und ihnen auch täglich begegnen, Probleme frühzeitig erkannt und angesprochen werden. Selbst, wenn dabei Fehler gemacht werden, so demonstrieren die Vorgesetzten durch ihr Eingreifen immer auch ihr Interesse an der Person. Zu dieser Haltung können Führungskräfte nur ermutigt werden.

Die Vereinbarung umschließt drei Bereiche: (3)


Arbeitsorganisation

Flexiblere Zeitmodelle und Ausbau sozialer Unterstützungsangebote –insbesondere für berufstätige Frauen mit Kindern.Entlastung von Beschäftigten im SchichtdienstEntlastung und höhere Flexibilität im Bereich der Arbeitszeit für ältere Beschäftigte

Arbeitszufriedenheit

Erweiterung der Handlungs– und EntscheidungsspielräumeAusbau der Maßnahmen im Bereich von Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und Installation betrieblicher GesundheitszirkelStärkere Einbeziehung der beschäftigten in die ArbeitszeitgestaltungAusbau der WeiterbildungsmöglichkeitenFörderung stabiler sozialer Beziehungsfelder zwischen den Beschäftigten

Führungskonzepte

Möglichkeiten der Konfliktregelung am Arbeitsplatz durch Befähigung der FührungskräfteVerbesserung innerbetrieblicher Informations– und Kooperationsprozesse durch den Abbau unnötiger Hirarchien



Fussnote / Quelle zu (1)
A. Nette: Betriebliche Prävention und Intervention bei Medikamentenproblemen,
In: R. Fuchs, L. Rainer, M. Rummel: "Betr. Suchtprävention"

Fussnote / Quelle zu (2)
G.Glaeske: Psychotrope und andere Arzneimittel mit Missbrauchs– und Abhängigkeitpotential, in: „Jahrbuch Sucht“

Fussnote / Quelle zu (3)
Gefördert von der BZgA , Köln
Herausgeber: DHS – Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e.V. in Hamm