Wegbeschreibung
Peter Heck
Hinweise für Betroffene
Sucht, was ist das ?
Mehrfach-Sucht
Wie Alkohol wirkt
Ärztlicher Umgang mit Alkoholkranken
Der Hausbesuch
Die Gruppe
Die Entgiftung
Ambulante Therapie
Stationäre Therapie
Stationärer Rückfall - Ende der Therapie ?
Psychopharmaka und Arbeitssicherheit
Arbeitslosigkeit und Suchtgefährdung
Alkoholgefährdung /–abhängigkeit im Betrieb

Geschlechtsspezifische Abstinenzraten unterschiedlicher Patientengruppen über den Zeitraum von 18 Monaten nach stationärer Entwöhnungsbehandlung (MEAT – Studie, Küfner & Feuerlein 1989)

Nach diesen amerikanischen, britischen und bundesdeutschen Ergebnissen sind zwei Folgerungen zu ziehen:

(1) Aufbauend auf den vorliegenden empirischen Ergebnissen kann eine vorzeitige Entlassung in der Regel nicht stichhaltig mit dem Wohl des Patienten begründet werden, da den Entlassenen im Gegensatz zu den Weiterbehandelten eine erheblich schlechtere Abstinenzprognose für die Zeit nach der Entlassung zu stellen ist. Diese Tatsache wie auch die, dass die Abstinenzquote der mehrfach stationär Rückfälligen sogar höher ist als die aller stationär Rückfälligen zusammen, steht in Widerspruch zu der von Sandmann (1983) geäußerten Annahme, dass die Nichtentlassung bei stationär Rückfälligen zur "abstumpfenden Gewöhnung an das wiederholte eigene Versagen und Scheitern" führe. Umgekehrt sehen wir uns in der Vermutung, die wir vor Jahren geäußert haben, empirisch bestätigt: " Die Weiterarbeit mit Patienten in einem Anfangs- oder Frühstadium des Wiedertrinkens kann einen anhaltenden schweren Rückfall und damit eine Verschlimmerung der Alkoholkrankheit verhindern ". Der Verbleib stationär Rückfälliger in der Fachklinik stallt somit eine Form von sekundärer Rückfallprävention dar: Dauer, Schwere und Folgen von Rückfällen werden durch eine Weiterbehandlung nach Rückfälligkeit offenbar positiv beeinflusst. Welche Wirkmechanismen hinter diesem Phänomen stehen, ist unbekannt.

(2) Einige Erfahrungen aus der stationären Suchttherapie veranlassen uns zu der noch weitergehenderen Schlussfolgerung, dass eine vorzeitige Zwangsentlassung nach Rückfälligkeit in der Regel auch nicht stichhaltig mit dem Wohl der Mitpatienten begründet werden kann, sofern das therapeutische Klima Halt für die in ihrer Abstinenz ungefestigten Mitpatienten bietet. Es existieren also Erfahrungswerte, nach denen durch den Verbleib rückfälliger Patienten keineswegs generell "Rückfalllawinen" in der Klinik ausgelöst werden.

Weiterbehandlung nach einem stationären Rückfall

Wie bereits dargestellt, haben 1993 von 37 befragten Kliniken 24 angegeben, sich konzeptionell auf Rückfallarbeit eingestellt und dabei positive Erfahrungen gesammelt zu haben. Erwähnt werden v.a. positive Veränderungen bei rückfälligen Patienten („näher an seinen Problemen dran“), aber auch Spannungen und Verunsicherungen bei den Mitpatienten („einmal Saufen ist erlaubt“) und im Team (Aufbrechen alter Denkstrukturen. Auch wenn die Repräsentativität dieser Abgaben für die gesamten bundesrepublikanischen Suchtkliniken ungeklärt ist und die offiziellen Auskünfte der Kliniken nicht immer mit dem faktischen Umgang mit Rückfälligen übereinzustimmen scheinen, gehen offenbar immer mehr Fachkliniken dazu über, mit rückfälligen Patienten weiterzuarbeiten. Als Motive für die Bevorzugung der Weiterarbeit mit stationär Rückfälligen sind v.a. ein“ neues Rückfalldenken“, in manchen Einrichtungen auch das Bemühen um eine Auslastung der Bettenkapazität in Betracht zu ziehen.

Altes Denken  Neues Denken 
Rückfälle sind Ausdruck schlechter Behandlung und eigenen Versagens.  Rückfälle sind Bestandteil jeder Entwicklung. Oft zeigen gerade Rückfälle, daß Verkrustetes aufbricht. 
Bei Rückfälligkeit war die ganze Behandlung vergeblich.  Rückfälle sind die Regel und nicht die Ausnahme. 
Rückfälle sind Katastrophen.  Rückfälle sind Entwicklungschancen. 
Rückfälle sind ein weiterer Schritt auf dem Wege der Selbstzerstörung  Rückfälle sind als aktive Gestaltungs-
versuche zur Bewältigung eigener Lebensprobleme zu respektieren. 
Rückfälle sind autonome Prozesse,
"da kann man nichts mehr machen". 
Rückfälle sind sinnhafte Handlungen 
Rückfälle sind Ausdruck von Gleichgültigkeit, fehlendem Abstinenzwillen und Uneinsichtigkeit.  Rückfälle sind als Widerstand positiv zu würdigen.  
Der Rückfall endet in Sichtum.  Rückfälle sind Selbstheilungsversuche
(z. B. Aufrechterhaltung des Selbstwert-Gefühls). 
Rückfälle sind Ausdruck einer "klaren Entscheidung zum Weitertrinken".  Rückfälle sind erklärbar – sie fallen nicht vom Himmel. 
Die wesentliche Rückfallursache ist das Verlangen nach Alkohol
 
Abstinenz ist nicht der zentrale Gradmesser für die Beurteilung einer Behandlung. 
Das erste Glas endet im Kontrollverlust.  Der Weg aus der Sucht braucht Zeit. Rückfall ist nicht gleich Rückfall.  
negative Sicht des Rückfalls.  entmystifizierte, auch positive Sicht des Rückfalls. 
emotionsgeleitetes Agieren, Behandlungbeendigung  bewußte Herausarbeitung förderlicher Elemente des Rückfalls 
Hohe Belastung des Therapeuten / der Therapeutin  Keine / geringe Belastung des Therapeuten / der Therapeutin 


Abbildung:

Das herkömmliche - und das neue Denken über die Rückfälligkeit und die Folgen.

Das neue Denken über Rückfälligkeit besagt im Gegensatz zum bisherigen alten, dass Rückfälle durch mehrere Faktoren bedingte, erklärbare, sinnhafte, keineswegs nur negativ einzuschätzende Phänomene sind, die Ansatzpunkte für eine gezielte Rückfallprävention bieten. Im Sinne dieses Ansatzes sind Rückfälle weder als Bagatellen noch als Katastrophen, sondern als Chancen der Umorientierung einzustufen.
Das >neue<, psychotherapeutisch geprägte Rückfalldenken kann sich auf folgende Befunde stützen:

(1) Eine fehlende Abstinenzmotivation spielt zumindest bei poststationären Rückfällen im Allgemeinen keine dominante Rolle. Nur in einer Studie stellt schwankende Motivation eine nennenswerte Komponente (poststationärer) Rückfälle dar. Eine Vielzahl von Studien kommt demgegenüber zu dem recht einhelligen Ergebnis, dass die Mehrzahl von Rückfällen belastende innere Zustände zugrunde liegen, wie etwa eine bedrückte Stimmungslage, Unruhe oder Gereiztheit.

(2) Mängel der Abstinenzmotivation sind – häufig nur vordergründige Phänomene, die auf weitergehende innere oder soziale Konflikte zurückgeführt werden können (z.B. Widerstände gegen das Bewußtwerden einer deprimierenden Lebenssituation); > Der Rückgriff auf den Alkohol stellt vielmehr einen Versuch dar...., unbewältigte psychische oder psychosoziale Probleme, die im Zustand der "Trockenheit" in den Vordergrund getreten sind, in den Hintergrund zu drängen<. Psychoanalytisch ausgedrückt liegt einem RF regelhaft ein realer oder symbolischer Objekt-Verlust zugrunde...der im Urlaub des Therapeuten, in frustrierenden Erwartungen des Patienten usw. begründet sein kann. Der Patient agiert diesen Objektverlust mit einem RF...Aufgrund der schwachen Ich-Grenzen, fehlender guter Objekte und Vereinbarungsmöglich-
keiten kann der Alkoholiker Enttäuschungen eben nicht anders verarbeiten, dass er das freiwerdende destruktive Potential gegen sich selbst richtet.

(3) Rückfälle während stationärer Therapie sind Entwicklungschancen, insofern sie Gelegenheit bieten, die im Rückfall >aufgebrochenen< Konfliktbereiche in der Therapie aufzuarbeiten.
Ganz im Sinne des >neuen Rückfalldenkens< sehen 11 der 24 ermittelten Einrichtungen, die sich nach einem stationären RF eine Weiterbehandlung offen halten, im RF nur ein Symptom der der Abhängigkeit zugrunde liegenden Konflikte, dass einen leichteren Zugang zu den Grundproblemen des Patienten verschaffe. Diese Einrichtungen sind auch der Auffassung, dass eine vorzeitige Entlassung eine Verfestigung der Konflikte bzw. eine Fortsetzung des Suchtmittelkonsums nach sich ziehen würde.

Kriterien für bzw. gegen eine Weiterbehandlung

Selbst wenn sich stationäre Entwöhnungseinrichtungen aufgrund der vorgenannten Überlegungen auf die Weiterarbeit mit Rückfälligen eingestellt haben, machen laut Brüngers (in Druck) Befragungen 23 der 24 Fachkliniken die Entscheidung für oder gegen eine Behandlungsfortsetzung vom Einzelfall abhängig; nur eine Einrichtung arbeitet ohne Ausnahme mit allen Rückfälligen weiter.
Bei den 23 Kliniken sind die Entscheidungsgründe für eine Weiterarbeit das offene Eingestehen des Rückfalls (bei 15 Einrichtungen) und die Bereitschaft des Patienten zu dessen Aufarbeitung.
Demgegenüber werden folgende Hauptgründe für eine vorzeitige Entlassung genannt: die Leugnung des Konsums trotz seines Nachweises (in 19 Einrichtungen), ein erkennbarer Mangel an Behandlungsmotivation (18), die Weigerung, über den Rückfall zu sprechen (16), das Verbreiten einer negativen Atmosphäre nach dem Rückfall (14), Mehrfachrückfälligkeit (9), Suchtmittelkonsum auf dem Klinikgelände (8), und die Anstiftung von Mitpatienten zum Konsum (6). In acht Einrichtungen führt auch die Tatsache, dass der Bezugstherapeut mit den Patienten nicht mehr zu Recht kommt, zur Entlassung.
Wer letztlich die Entlassungsentscheidung trifft, ist sehr uneinheitlich: Das therapeutische Team, der Bezugstherapeut und die ärztliche Leitung werden alle drei in etwa gleich häufig genannt. Auch der Entscheidungs- und Entlassungszeitpunkt variieren erheblich ( von >am Tag des Rückfalls< bis >nach 30 Tagen<.

Verfahren der Rückfallaufarbeitung

Neben den Kriterien für oder gegen eine Weiterarbeit mit Rückfälligen variiert in den stationären Entwöhnungseinrichtungen der konkrete Weiterarbeitungs-
modus mit den Patienten, die nach RF weiterbehandelt werden. Es lassen sich die unveränderte und die veränderte Weiterbehandlung unterscheiden, wobei verschiedene Modi der Weiterbehandlung nach Umfang, Strukturiertheit und theoretischer Fundierung der Rückfallaufarbeitung differenziert werden können. Wie aus Studien bereits deutlich wurde, scheint die Praxis, rückfällige Patienten ohne spezifische Bearbeitung des Rückfalls weiterzubehandeln, keine nennenswerte Verbreitung gefunden zu haben bzw. im Rückgang begriffen zu sein, so dass nicht weiter einzugehen ist. Auch die spezifischen Erfordernisse des Umgang mit während einer Entgiftungsbehandlung Rückfälligen werden hier nicht thematisiert.
Bei der Mehrzahl der veröffentlichten Ansätze dient der Rückfallaufarbeitung ein speziell anberaumtes Rückfallgespräch, dessen konzeptuelle Basis meist nicht näher erläutert wird.

In diesem Sinne berichten Sedmark und Djordjevic – Bankovic (1974), dass in ihrer psychiatrischen Klinik (im ehemaligen Jugoslawien) stationäre Rückfälle mit dem Personal und den Mitpatienten besprochen wurden. Rückfälle wurden missbilligt, ohne die Person des Rückfälligen in Misskredit zu ziehen. Ohne weitere Spezifizierung beurteilten s. u. D. ihre Vorgehensweise als nützlich.
Kruse und Siefers (1987) berichten von einer dreimonatigen tagesklinischen Behandlung in Bremen, die vorwiegend im Anschluss an eine bereits abgeschlossene stationäre Entwöhnungsbehandlung für stärker psychosozial beeinträchtigte, vorwiegend ältere Alkoholabhängige angeboten wurde. Rückfälle führten auch hier nicht grundsätzlich zur Entlassung, sondern sie waren Anlass, > Ursache und Situation des Rückfalles zu analysieren...Zwar wird ein RF nicht gerade begrüßt, aber man wertet ihn im Grund genommen als eine therapeutisch nutzbare – wenn auch zunächst negative – Erfahrung des Patienten<.
In einer verhaltenstherapeutisch ausgerichteten reimonatstherapie für alkoholabhängige Frauen im PLK Reichenau wurden die stationär rückfälligen Patientinnen prinzipiell nicht disziplinarisch entlassen, sondern in Rückfallbesprechungen einbezogen. Watzl (1986) erläutert die Vorgehensweise: > Möglichst am Tag nach dem RF wurde eine eigens anberaumte Gruppensitzung abgehalten, die nicht als Strafe dienen sollte, sondern das Ziel hatte, eine genaue Analyse der Rückfallsituation durchzuführen und Bewältigungsstrategien für die Zukunft zu überlegen<.
Diese Studie verfügt auch über katamnestische Daten für die nach RF Weiterbehandelten. Rückfälligkeit während der Therapie korrelierte signifikant mit Rückfälligkeit drei Monate (r=.52) und eineinhalb Jahre (r=.40) nach der Therapie. So waren z.B. drei Monate nach Therapie-Ende 11,6 % der Ex – Patientinnen mit stationärem RF abstinent, aber 67,0 % derer, die die Behandlung alkoholfrei beendeten. Trotz der Durchführung eines speziellen Rückfallgespräches und der Weiterbehandlung der Rückfälligenerreichten diese somit bei weitem nicht den Abstinenzerfolg derjenigen, die während der Therapie suchtmittelfrei lebten. Die Gründe dafür können vielfältiger Natur sein; sie waren nicht Gegenstand dieser Studie. Allerdings kann man die Quote von 11,6 % auch positiv bewerten, wenn man sie mit der bei Küfner und Feuerlein (1989) berichteten 0 – Prozent – Quote der Frauen vergleicht, bei denen nach Rückfall keine Behandlungsfortsetzung erfolgte.


Die wenig strukturierten bzw. sehr am Einzelfall orientierten Modi der Rückfallaufarbeitung laufen > Gefahr, dass die Rückfallaufarbeitung von wenig kontrollierten Variablen und Prozessen der Institution (z.B. Bettenauslastung), des Teams (z.B. Umgang mit Spaltungsprozessen) und des Betroffenen (z.B. hirnorganische Beeinträchtigung) abhängt. Generell scheint deshalb ein formalisiertes Vorgehen beim Umgang mit und der Aufarbeitung von stationärer Rückfälligkeit sinnvoll, da dieses einerseits für die Institution und das Team aber andererseits auch für den betroffenen Rückfälligen klare Grenzen und Strukturen vorgibt<. In diesem Sinne haben Körkel und auch Wohlfahrt ein umfassendes, strukturiertes Behandlungskonzept für stationär Rückfällige vorgelegt, an dem sich inzwischen verschiedene Einrichtungen orientieren und das 4 Schritte der Rückfallaufarbeitung vorsieht, das sog. (>4- Schritte- Verfahren<):
das Einzelgespräch mit dem Bezugstherapeuten (1. Schritt), das Gespräch mit Mitpatienten, Therapeut und Co-Therapeut in der zugehörigen Therapiegruppe (2. Schritt), die Rückfallbesprechung im therapeutischen Team (3. Schritt) sowie die Darstellung und Besprechung des Rückfalls in der Großgruppe aller Patienten und Mitarbeiter (4. Schritt; sowie Detail Wohlfarth, in dieser Schrift.
Therapie; offenkundige Unehrlichkeit; Verbreiten einer negativen Atmosphäre in der Klinik, etwa durch Prahlen mit dem RF. Ohne Durchführung des 4 Schritte– Programms ist die Entlassung bei Alkoholkonsum auf dem Klinikgelände sowie beim zweiten RF vorgesehen.
Aus bis 1984 zurückreichenden Erfahrungen zieht Körkel ein überwiegend positiven Resümee zum 4 Schritte– Konzept der RF– Aufarbeitung. Eine empirische Evaluation der Effektivität und Effizienz des 4 Schritte– Verfahrens steht allerdings aus. Zudem ist bei der Praktizierung von stationärer RF– Arbeit mit Problemen zu rechnen, wenn es z.B. zu Personalfluktuation und unklaren Entscheidungssituationen kommt.

Die Verarbeitung stationärer Rückfälle durch Suchttherapeuten

Stationäre Rückfälle werden oftmals mit einem Scheitern der Therapie gleichgesetzt. Die Annahme ist deshalb nahe liegend, dass auch Therapeuten von einem RF nicht unberührt bleiben. Wie reagieren sie emotional darauf? Wie erklären sie sich, dass es zu dem RF gekommen ist? Auf diese und andere Fragen geben einige Studien Aufschluss.
Ein eher düsteres Bild der internen Verarbeitung von RF durch Suchttherapeuten zeichnet Rost (1987) aus psychoanalytischer Sicht. Er deutet seine Beobachtung, dass nach einem stationären Patientenrückfall auf Behandler-Seite mit Liebesentzug oder Entlassung des Patienten reagiert werde, wie folgt: > Die Therapeuten schützen sich so vor ihren eigenen Gefühlen der Kränkung und der Enttäuschung; außerdem muss das böse Objekt, das im RF wieder zum Vorschein gekommen ist, in Schach gehalten werden, wie es in der Teambesprechung von RF besonders die Ehemaligen besonders vehement vertreten... Der RF ist...auch das (Scheitern) des Therapeuten, für den der RF stets Enttäuschung und Kränkung, das Scheitern seiner Bemühungen bedeutet. Mit der Entlassung spaltet er auch eigene Schuldgefühle ab, bearbeitet das Geschehen nicht. Streng analytisch gesehen ist die Reaktion der Entlassung auf den RF ein Agieren des Therapeuten bzw. der Institution, die keine andere Möglichkeit der Bearbeitung des Übertragungs- Gegenübertragungsgeschehens besitzen. Damit schützen sich natürlich Therapeut und Institution zugleich davor, von dem destruktiven Geschehen der Sucht überwältigt und über kurz oder lang ihrer therapeutischen Potenz beraubt zu werden <.

Back, Gehring, Körkel, Shim und Wagner sind der Rückfallverarbeitung durch Suchttherapeuten auf der Basis gesundheitspsychologischer Modellannahmen nachgegangen.


Im Rahmen einer größeren Fragebogenerhebung wurden stationär und ambulant tätige Suchttherapeuten zu ihren allgemeinen Rückfalleinstellungen (>appraisal<), ihren spontanen gefühlsmäßigen Reaktionen nach dem letzten RF eines ihrer Patienten sowie ihren Versuchen, mit diesem Rückfall klarzukommen befragt. Die Autoren/-innen kommen zu folgenden Ergebnissen:

(a) Wenn in einer stationären Einrichtung nach RF generell entlassen wird, sind die dort tätigen Therapeuten im Vergleich zu ihren Kollegen aus Kliniken mit Weiterbearbeitungsmodus stärker der Auffassung, dass RF ausschließlich negative Ereignisse darstellen. Zudem neigen erstere stärker dazu, auf einen tatsächlich eingetretenen RF resignierend und hilflos zu reagieren (z.B. > ich habe den Patienten abgeschrieben <) und auf Abstand vom Patienten zu gehen (z.B. < ich habe mir gesagt, dass ich hier nur meinen Job mache und nicht soviel Engagement für einen RF aufbringen möchte<).
(b) Stationäre Rückfälle lösen bei Therapeuten, die weniger als ein Jahr im Suchtbereich tätig sind, vermehrte Anstrengungen aus, mit dem RF >klarzukommen<. Sie >nehmen< den RF stärker mit nach Hause (z.B. > ich habe außerhalb meiner Arbeitsstelle mit Freunden, Partner/in o. Ä. darüber geredet und mir Unterstützung geholt<) und versuchen, ihm auch positive Seiten abzugewinnen (z.B. > ich habe den RF als Ausdruck eines wichtigen therapeutischen Prozesses betrachtet und die darin liegenden Chancen für den Patienten gesehen.<).
(c) Stationäre Therapeuten, die über keine Therapieausbildung verfügen, betonen in ihrer Einstellung zu Rückfällen deren negative Implikationen für die Therapie (z.B. Ein RF ist ein Ereignis, das für die weitere therapeutische Arbeit nicht dienlich sein kann<); therapeutisch ausgebildete Kollegen tun dies deutlich weniger.
(d) Stationäre Therapeutinnen unterscheiden sich von Therapeuten weder in ihrer Einstellung zu Rückfällen noch in ihren emotionalen Reaktionen und Bewältigungsversuchen nach eingetretenen Rückfällen.
(e) Stationär tätige Therapeuten betrachten Rückfälle in stärkerem Maße als ihre ambulant tätigen Kollegen als Negativereignisse. Außerdem reagieren die Mitarbeiter im stationären Bereich nach einem RF mit stärkeren selbstwert beeinträchtigenden Emotionen (z.B. Schuldgefühle und Selbstzweifel und es zeigen sich vermehrt Anzeichen von Resignation und Distanzierung.
(f) Bei slowenischen Suchtmitarbeitern setzen nach Klinikrückfällen stärkere Coping – Prozesse ein als bei deutschen, und für slowenische Therapeuten ergeben sich vermutlich aufgrund einer anderen Struktur des Behandlungssystems – die zuvor genannten Unterschiede zwischen stationär und ambulant Tätigen nicht.
(g) In ergänzenden Analysen bei 100 Suchtmitarbeitern konnte Shim (1993) zeigen, dass im stationären Bereich beschäftigte Therapeuten verstärkt dazu neigen, nach >eigenen Anteilen< bei der Rückfallentstehung zu suchen und sich damit stärker in das Rückfallgeschehen <hineinziehen< zu lassen.


Vor allem stationäre Rückfälle bergen also ein Belastungspotenzial für Therapeuten in sich, das bei pauschaler Zwangsentlassung nach Rückfälligkeit noch erhöht zu sein scheint. Inzwischen existieren differenzierte Vorschläge, diesen > Belastungsherd< zu entschärfen.



Schlussfolgerungen für die Behandlungspraxis

1.)
Nach den vorgebrachten theoretischen Erwägungen scheint es nicht das optimale Vorgehen schlechthin bei stationärer Rückfälligkeit zu geben – weder heute noch in Zukunft.

1.1.) Diese Einschätzung resultiert erstens aus der Tatsache, dass zum Teil gegenläufige Interessen abzuwägen sind. So sind z.B. teilweise die Interessen des Klinikträgers, der zur Ausschöpfung der Bettenkapazität suchtkonjunkturabhängig möglichst viele Patienten in Behandlung halten möchte, die Interessen der therapeutisch Tätigen, die ev. eine stationäre Entlassung aus Behandlungserwägungen heraus für nicht indiziert halten, die Interessen des stationär Rückfälligen und die Interessen der Mitpatienten (bzw. einzelner von ihnen) zum Teil gegenläufig.

1.2) Das optimale Vorgehen bei stationärer Rückfälligkeit gibt es auch deshalb nicht, weil stationär Rückfällige sehr unterschiedliche Personengruppen sein können, deren Rückfälligkeit sehr Unterschiedliches zum Ausdruck bringt und die deshalb sehr unterschiedliche Vorgehensweisen erfordern.

1.3) der Zeitpunkt des RF lässt eine Pauschalbeurteilung stationärer Rückfälle ebenfalls nicht zu. So ist etwa der stationäre RF nach Eintreten eines kritischen Lebensereignisses (z.B. Unfalltod eines Angehörigen) zu Beginn der Therapie und bei temporär unzureichender Abstinenzfähigkeit anders zu beurteilen als das gleiche Ereignis bei gesteigerten Problembewältigungskompetenzen gegen Ende der Behandlung.

Weiterbehandlungskriterien und –modi bedürfen also der Anpassung an die spezifischen Bedingungen des Patienten (z.B. Ausmaß der „Störung“), der Einrichtung (z.B. Bettenzahl) und der Mitarbeiterschaft (z.B. therapeutische Kompetenzen).

Nachfolgend: Unterschiedliche Interessen bei stationärer Rückfälligkeit ( anhand von Beispielen)

2.) Die generelle, ausnahmslose Zwangsentlassung nach stationärer Rückfälligkeit ist aus verschiedenen Gründen problematisch.

2.1) Es scheint unangemessen, auf einen RF grundsätzlich mit einer disziplinarischen Entlassung zu reagieren und damit die Verantwortung für den RF einseitig dem Rückfälligen anzulasten. Dieses Vorgehen widerspricht vorliegenden Theorien und empirischen Befunden zur Rückfallentstehung.

2.2) Speziell die kurz– und mittelfristigen Abstinenzchancen von nach Rückfall entlassenen Patienten sinken entsprechend den vorliegenden Untersuchungsergebnissen auf ein Minimum; bei Frauen ist diese Tendenz besonders krass. Das bedeutet, dass durch Zwangsentlassungen Patienten die Behandlung zu einem Zeitpunkt entzogen wird, zu dem eine ungünstige Prognose über die weitere Abstinenz vorliegt. Es ist deshalb zu fragen, ob es nicht als Aufgabe oder gar Pflicht von Suchtkliniken zu definieren wäre, diese Prognose durch eine Weiterbehandlung zu verbessern.

2.3) Äußerst fragwürdig erscheint es deshalb, wenn ein Arbeitgeber die vorzeitige Klinikentlassung wegen Rückfälligkeit als > nicht erfolgreichen Abschluss einer Behandlung < einstuft und auf dieser Grundlage dem Arbeitnehmer kündigt. Es ließe sich nämlich mit guten Gründen argumentieren, dass nicht der Patient versagt hat, sondern die Behandlung fehlerhaft / unzureichend war.

3.) Wird in einer Einrichtung grundsätzlich oder nach einzelfallbezogener Beurteilung die Zwangsentlassung nach stationärem Rückfall ausgesprochen, so sollten zumindest drei Aspekte berücksichtigt werden.

3.1) Vermeidung der Rollenkonfusion. Schmidt (1992) empfiehlt Therapeuten zwecks Vermeidung von Rollenkonfusion, gegenüber dem Patienten ihre Doppelfunktion als Therapeut und sozialer Kontrolleur von Anfang an deutlich zu machen. Das bedeutet, dem Patienten gegenüber klarzulegen, dass man unabhängig von seinem individuellen Wohl das Regelwerk der Klinik durchsetzen wird. > Das beschriebene Vorgehen bietet die Chance, dass man einerseits Verständnis für den RF entwickeln und seinen beziehungsorientierten Sinn erhellen kann, aber gleichzeitig im geschützten Raum der Institution unmissverständlich deutlich macht, dass dieses Verständnis in bestimmten sozialen Kontexten sekundär ist im Vergleich zu den Anforderungen des sozialen Konsens <.

3.2) Nichtsanktionierende Grundhaltung. Wird von einer Entlassung nach stationärer Rückfälligkeit Gebrauch gemacht, so sollte dies respektvoll, nicht moralisierend und nicht emotionalisierend erfolgen, d.h. ohne dem Rückfälligen seinen Rückfall als Versagen oder Scheitern anzukreiden. Eine nicht sanktionierende Entlassungspraxis dürfte die negativen Folgen, die mit einer vorzeitigen Entlassung einhergehen können, (z.B. Festigung der Überzeugung, ein > hoffnungsloser Fall< zu sein), mindern.

3.3) Nachsorgeanbahnung. Es fehlen bislang erprobte Konzepte, wie die überweisenden bzw. <nachsorgenden< ambulanten Stallen günstigerweise auf die Entlassung eines rückfallbedingten Entlassenen reagieren sollten. Wünschenswert wäre, den Patienten während der stationären Therapie dazu anzuregen, in seiner Therapiezeit den Kontakt zur überweisenden Einrichtung nicht abreißen zu lassen, um dadurch die Schwelle dafür zu senken sich auch nach dem RF wieder bei seiner ambulanten Kontaktstelle zu melden. Darüber hinaus sollte die vorzeitige stationäre Entlassung erst dann vollzogen werden, wenn die Klinik mit der >nachsorgenden< (Beratung)Stelle Kontakt aufgenommen und die Eckpfeiler der Nachsorgeplanung abgesteckt hat (z.B. Wohnungssuche, Wiedereingliederung an den Arbeitsplatz, Schuldenregulierung; Austausch über den erreichten Therapieerfolg und die ggf. notwendige Aufarbeitung von Schuld– und Schamgefühlen usw.).

4.) die Verlegung eines stationär Rückfälligen in eine andere Fachklinik birgt eine Reihe von nachteiligen Konsequenzen in sich.
Diese negativen Konsequenzen sind insbesondere: die alte Negativsicht des RF wird möglicherweise verstärkt (> ich habe versagt<, > ich schaffe es nie < usw.); eine Bearbeitung der Rückfallentstehungsbedingungen und Rückfallfolgen ist in einer anderen Einrichtung nicht ohne weiteres bzw. nur mit Einschränkungen möglich (z.B. wenn die andere Einrichtung über kein Rückfallaufarbeitungskonzept verfügt), zumal der Patient und seine Psychodynamik dort so gut wie unbekannt sind; die therapeutisch sinnvoll nutzbare systemische Dynamik unter den Mitpatienten verpuff schneller (z.B. Verleugnungen: > Mir könnte das (RF) nicht mehr passieren!<, >Wenn das (RF) bei dem passiert ist– wie soll ich es dann schaffen?!; Vermutungen oder Projektionen: > der wollte doch saufen< usw.).

5.) lebenslange Abstinenz ist nicht für alle Personen mit Alkoholproblemen realistisches Therapieziel und deshalb auch nicht von vornherein für die Zeit der stationären Behandlung zu erwarten.

5.1) bei chronisch mehrfach geschädigten, z. T. bereits hirnorganisch beeinträchtigten Personen (wie etwa den sog. „Straßenalkoholikern“) sind Rückfälle von Zeit zu Zeit als realistische und wahrscheinliche Möglichkeiten einzuplanen – auch schon während der Therapie. Man sollte dabei nicht vergessen, dass der Alkoholkonsum manchen dieser Personen ein Minimum an Lebensfreude gewährleistet und dass sich bei ihnen aufgrund einer anhaltend deprimierenden Lebensgeschichte / -Situation oft keine grundsätzlich neue Entwicklung ihres Lebens abzuzeichnen scheint.

5.2) Das Ziel der lebenslangen Abstinenz ist möglicherweise ebenfalls unrealistisch für einen Teil der Personen, die nicht in die Gruppe der Gamma – Alkoholiker einzustufen sind. Das können z. B. die Jugendlichen / jungen erwachsenen sein, die von Zeit zu Zeit (etwa an Wochenenden in der Diskothek) erhebliche mengen Alkohol konsumieren, trotzdem ihren PKW benutzen und schließlich mehrmals den Führerschein entzogen bekommen. Wenn sich diese Personen in einer Fachklinik befinden, streben sie (zumindest der überwiegende Teil von ihnen) nach den vorliegenden Erfahrungen keineswegs den Zustand der lebenslangen Abstinenz an. Dementsprechend kann es nicht verwundern, daß sie nach erneuten (stationärem) Alkoholkonsum keine Reue zeigen und darauf hinweisen, daß sie sich ausschließlich wegen der Führerscheinneuerlangung in Behandlung begeben hätten. Wenn jedoch Abstinenz nicht das angestrebte Ziel dieses Personenkreises darstellt, ist eine grundsätzliche Entlassung nach stationärer Rückfälligkeit nicht zwingend. Es ist vielmehr zu hinterfragen, ob das generelle Abstinenzziel für alle Alkoholabhängigen hinreichend ist oder ob nicht ergänzende Therapieziele des variableren Umgangs mit Alkohol in Betracht zu ziehen sind. (???)

6.)
Man kann davon ausgehen, dass stationäre Rückfälle Auswirkungen auf das emotionale Befinden und auf Rückfallbewältigungsversuche von Therapeuten haben.
Eine verstärkte Berücksichtigung des Rückfallthemas in suchtbezogenen Fort-, Aus- Weiterbildungen ist deshalb zu empfehlen. Aus Superversionsveranstaltungen ist zudem bekannt, dass Patientenrückfälle bei ehemals Abhängigen Therapeuten Rückfallanfälligkeiten wachrufen können und es immer wieder zu Therapeutenrückfällen kommt. Diesem Thema ist bislang zu wenig Augenmerk geschenkt worden.

7.)
Der Rückfall ist der „Schaltschlüssel zur Sucht und in diesem Sinne eine Chance.“ Statt Rückfälle mit Versagen und Niederlage gleichzusetzen, sollten alkoholabhängige Menschen auch die Entwicklungschancen, die sich aus Rückfällen heraus eröffnen, nahe gebracht werden. Auf diese Botschaft sollte bereits im Vorfeld von aktuellen Rückfällen hingearbeitet werden, in dem das Rückfallthema zum Beispiel anhand von speziell auf den Patienten zugeschnittenen Materialien aufgegriffen wird.

Desiderata für die Forschung

Die vorzeitige oder > disziplinarische < Entlassung nach stationärer Rückfälligkeit war bislang eine so gut wie nicht hinterfragte Selbstverständlichkeit, die wissenschaftliche Untersuchungen blockierte. Die besonders vordringlichen Forschungsfragen lassen sich drei Bereichen zuordnen.

(1) Notwendig ist zunächst eine dezidierte Deskription stationärer Rückfälle nach diversen Aspekten des Alkoholkonsums: der Art, Menge und Dauer der konsumierten Alkoholika, dem Ort (in der Klinik, während eines Ausfluges, auf der Heimreise usw.), dem sozialen Kontext (Alkohol alleine oder zusammen mit anderen), dem Zeitpunkt während der Behandlungsdauer und der Nachweisquelle (zufälliger Alko-Test, Hinweis von Mitpatienten, eigenes Eingestehen).
An diese Fragen lassen sich eine Reihe weiterer Fragestellungen anschließen, wie etwa: Wie lange dauern stationäre RF in der Regel an? Werden in Kliniken, die nach RF eine Zwangsentlassung einleiten, weniger RF eingestanden als in denen, die mit Rückfälligen weiterarbeiten? Wie beeinflussen stationäre RF die Mitpatienten? Wie gestalten sich Trink– und Arbeitsverhalten, körperliche und psychische Gesundheit, soziale Integration sowie Wohlbefinden bei der nach Rückfall entlassenen Patienten im Katamnesezeitraum?
(2) Erforderlich sind zum zweiten empirische Überprüfungen theoretischer Konzepte der Entstehung stationärer Rückfälle. Dieser Bereich der Erklärung stationärer Rückfälligkeit tangiert etwa die Frage, wie stark und in welchem Verhältnis institutionelle Bedingungen der Fachklinik, die Qualität des therapeutischen Angebotes, Merkmale des Patienten und Ereignisse im außerklinischen Feld wie etwa in der Familie bei der Rückfallentstehung zusammenwirken.
(3) Wie sieht ein effektiver Umgang mit stationären RF aus? Fragen zu diesem Bereich der Rückfallprävention und –intervebtion sind etwa die folgenden: Wie kann stationären RF wirksam vorgebeugt werden? Welche Art von stationärer Rückfallarbeit weist poststationär die meisten Erfolge auf? Gibt es hinsichtlich Häufigkeit, Entstehungshintergrund und Interventionsnotwendigkeiten Unterschiede zwischen stationär rückfälligen Frauen und stationär rückfälligen Männern?

Die Fortentwicklung der Rückfallforschung und die innovativen Tendenzen in der Suchtpraxis lassen die Hoffnung aufkommen, dass es in Zukunft mehr kritische Nachdenklichkeit und Fortschritte im Umgang mit stationärer Rückfälligkeit geben wird.

Umgang mit Rückfällen während der stationären Therapie
Erfahrungen und Entwicklungen aus der Praxis einer Fachklinik

Der Beitrag versteht sich in Fortsetzung der 1991 erschienen Artikels (Wernado, M.,1991). Er will darstellen, welche Entwicklungen in einer Klinik sich zu diesem Thema vollzogen haben, welche Konfliktpunkte nennbar gemacht werden können und vor welchem Hintergrund Veränderungen und Beharren zu sehen und zu verstehen sind.
Er beruht auf der Auseinandersetzung mit Patienten, Mitarbeitern der Klinik und Mitarbeitern in Beratungsstellen, dem Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Kliniken sowie eigene Einschätzungen und (Vor-)Urteilen.

Die Diskussion um den Umgang mit Rückfällen währen der stationären Therapie ist nicht zu Ende zu bringen und gelegentlich schon Ärgernis auslösend. Die unterschiedlichen und teilweise sogar kontroversen Praktiken und Einschätzungen im Umgang mit diesem Problem werden aber verständlich, wenn wir uns verdeutlichen, dass erst seit 1968 Abhängigkeit als Krankheit anerkannt ist. Erst durch die Empfehlungsvereinbarung aus dem Jahr 1978 wurden Versorgungsstrukturen gebildet, die Vergleichbarkeit überhaupt ermöglichen. Klinisch – stationäre Erfahrungen mit der Krankheit Abhängigkeit sind zahlreich und vielfältig; ca. 25 000 stationäre Reha – Maßnahmen für Abhängigkeitskranke werden pro Jahr durchgeführt. Ein pathologisches Krankheitsbild, das die Bedingungszusammenhänge und Krankheitsursachen erklärt und verstehen lässt, liegt jedoch nicht vor – wie bei den meisten psychiatrischen Krankheiten.

Rückfälle
Rückfälle während der stationären Therapie bei Alkohol – und medikamentenabhängigen Patienten sind Ereignisse, die in 10 % der Behandlungsfälle auftreten. In unserem Hause liegt der Anteil der rückfällig gewordenen Patienten bei 3 %. (?)
In der Rückfallsituation und -gestaltung fließen viele Gesichtspunkte ein:

Die Persönlichkeitsstörung des Patienten,
Seine Beziehung zur Familie, dem sozialen Umfeld und dem Arbeitsplatz,
Seine Beziehung zu und innerhalb der Gruppe,
Seine beziehung zum Gruppentherapeuten,
Die Qualität der Ausbildung und die Fähigkeit des Gruppentherapeuten,
Die Tradition einer Klinik im Umgang mit Rückfällen,
Die Struktur einer Klinik (konkrete Belegungssituation, Anteil schwer gestörter Patienten),
Die Position der Leitung, wie mit einer Tradition und einem konkreten Rückfallereignis umgegangen werden soll.


Dass und wie sehr die einzelnen Aspekte im alltäglichen Arbeiten sich durchringen, weiß jeder klinisch Tätige und kann eine Außenstehender sich leicht vorstellen. Daher lassen sich die einzelnen Gesichtspunkte nicht lupenrein gegeneinander abgetrennt darstellen.

Voraussetzung zur stationären Behandlung und ihre Beziehung mit dem Ereignis Rückfall

Sofern ein Patient zur stationären Rehabilitation kommt, ist er durch Selbsthilfegruppen, Hausarzt und insbesondere Beratungsstellen in aller Regel auf diese Behandlung und zumeist auch auf die spezifische Klinik vorbereitet. Man kann von seiner Rehabilitationsfähigkeit sprechen, die Grundlage der Behandlung ist. Somit ist er vertragsmündig und als rechtsmündiges Subjekt kann er einen Vertrag mit der Klinik bzw. dem zuständigen Therapeuten schließen. In diesem Vertrag wird die Abstinenz von Suchtmitteln während der Therapie festgelegt. Die Klinik bietet im Gegenzug dazu eine Struktur (z.B. Dreierausgang, Kontrolle des Gepäcks auf Suchtmittel) und im Rahmen (Therapieprogramm, Anwesenheit von Therapeuten rund um die Uhr), der den Gebrauch von Suchtmitteln überflüssig machen soll.

Der Patient würde sich vertragsbrüchig verhalten, sofern er doch zu seinem Suchtmittel greift. Von solchen Voraussetzungen geht auch der Rentenversicherungsträger aus, wenn er in der Information für Patienten diesem mitteilt:

> Erster und wichtigster Punkt einer jeden Hausordnung ist die grundsätzliche Notwendigkeit einer völligen Abstinenz. Dazu gehört auch der Genus von suchtmittelhaltigen Produkten einschließlich Medikamenten mit Suchtbestandteilen. Tabletten und andere Medikamente –auch solche, die Sie bisher eingenommen haben – dürfen nur auf Verordnung des Arztes der Behandlungsstätte und unter Aufsicht des Personals eingenommen werden.

Wer gegen die Grundanforderung einer absoluten Abstinenz verstößt, entzieht allen Behandlungsbemühungen den Boden und muß deshalb mit einer sofortigen Entlassung rechnen. <


In diesem Sinne verhält sich eine Klinik, die Patienten nach Rückfällen entlässt, auftragsgemäß – sofern nicht der Rückfall des Patienten auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist.
Nur zu bekannt ist, wie sehr vorbewusste und unbewusste Beweggründe diesen an sich so vernünftig aussehenden Vertrag sabotieren: Die Erfahrungen der Patienten und der Therapeuten in der Zusammenarbeit und im konkreten Fall lauten aber, dass das Versprechen, vom Alkohol die Finger zu lassen, in der Vergangenheit zu nichts nutze war außer zur Vorbereitung eines Rückfalls. Den geheimen Sinn einer selbst zerstörerischen und sozial außerordentlich unglaubwürdigen Verhaltensweise zu erkunden, ihn verstehbar zu machen und ihn in die Lebensgeschichte zu integrieren ist Aufgabe der stationären Psychotherapie. Hier muss also neben den institutionellen Rahmen und die Struktur ein Instrumentarium treten, das diese vorbewussten Prozesse angemessen aufgreifen, berücksichtigen und ihren zerstörerischen Konsequenzen korrigierend beeinflussen kann.
Der alltägliche Austausch in der Gruppe, die Gruppentherapie, die angebotenen Einzelgespräche, die Selbsthilfegruppenkontakte während der Behandlung stellen solche, letztlich von außen an die Patienten herangetragenen Instrumenten dar. Ein wichtiges Hilfsmittel des Verständnisses der inneren Prozesse eines Patienten ist die Strukturdiagnose: Sie ermöglicht zu unterscheiden, zu trennen und das Wesentliche bzw. Charakteristische einer Persönlichkeitsproblematik herauszuarbeiten.
Richtig gestellt lässt sie sich gut begründen und gibt Handlungsanweisungen für die therapeutische Arbeit, da mit Wahrscheinlichkeit zu erkennen ist, an welche Stellen Patienten Konfliktfelder haben und hatten und welche Funktion das Suchtmittel in ihrer Lebensgeschichte hatte und hat. Damit lässt ich auch, zumindest in einem gewissen Umfang, die Rückfallgefährdung des Patienten abschätzen. Es gehört zur Arbeit des Therapeuten und ist seine Aufgabe, aus dem Zusammenspiel von Anamnese und Strukturdiagnose intrapsychische Konfliktsituationen – und zwar zusammen mit dem Patienten – zu antizipieren, in denen er rückfallgefährdet sein kann. Das fordert keine hellseherische Fähigkeiten, sondern das Besinnen auf grundsätzliche therapeutische Tugenden und auf Kompetenz: Ernsthaftes Interesse am Wohl des Patienten (der sich dann auch anvertraut) und Anwenden der in der Psychotherapie – Ausbildung erworbenen Möglichkeiten und Fertigkeiten. Eigentlich hat das Ähnlichkeiten mit entwicklungspsychologischer Normalität, da auch Eltern vorhersehen, wo Kinder sich gefährden können, wenn sie z.B. Messer, Rasierklingen, Scheren zum Schutze der Krabbelkinder vom Fußboden sofort entfernen.

Narzisstische Patienten sind definitionsgemäß leicht kränkbar und reagieren auf erfolgte Kränkung mit Wut und / oder Größenphantasien. Eine wichtige Frage während der Therapie muss für den Therapeuten bei solch strukturierten Patienten sein, wo in der Arbeit des Tages bzw. der Woche Kränkungen stattgefunden haben, die ihn aus der Beziehung zur Gruppe bzw. zum Therapeuten entfernten. Solche Entfernungen sind ab einer gewissen Größe Rückfallgefährdungspotentiale. Dabei sind es erfahrungsgemäß aber nicht die spektakulären Kränkungssituationen, die erkennbar mit Wut und Größenphantasien beantwortet werden, sondern eher die > geschluckten <, von denen Gefahr ausgeht. Durch einfaches, wohlwollendes Nachfragen auf der Grundlage der Kenntnis einer solchen Persönlichkeitsstruktur erreicht der Therapeut eine so genannte > holding function< , die Winnicot als unabdingbar für den psychotherapeutischen Prozess gefordert hat.
Neben den, wie oben beschriebenen, vorbereiteten Patienten finden sich in Kliniken unterschiedlich ausgeprägt auch Patienten, die nicht nur schlecht vorbereitet sind, sondern deren Persönlichkeit viel umfassender gestört ist, als dass eine Vertragsarbeit vom ersten Tag an möglich sein würde.

30 Prozent unserer Patienten werden hausintern entgiftet. Eine Intoxikation wie auch eine Entgiftung bewirken ein hirnorganisches Psychosyndrom; das bedeutet, dass diese Patienten Einschränkungen der Konzentration, der Kritikfähigkeit und der Lebensenergie hinnehmen müssen und Veränderungen in der Stimmungslage erleiden; die Symptomatik kann allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Neben der akuten hirnorganischen Beeinträchtigung durch Suchtmittel (die durch die Entgiftung abklingt), treten bei manchen Patienten hirnorganische Psychosyndrome chronischen Zuschnitts auf: Hier hat das Suchtmittel Alkohol bereits mehr oder minder ausgeprägte Schäden hinterlassen. Diese Patienten sind deshalb auf enge Kontrollen, Anleitungen und Patenschaften angewiesen. Leicht verirren sie sich auf dem Klinkgelände, nehmen an Therapieeinheiten nicht teil und würden, wendete man die Regeln des Hauses konsequent an, nach kurzer Zeit entlassen werden müssen.

Alle hirnorganischen Psychosyndrome zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Prinzip rückbildungsfähig sind (auch chronische!). Das Problem ist, dass es keine gesicherten prognostische Zeichen dafür gibt, wie weit ein Psychosyndrom sich zurückbilden wird.
Häufig sehen wir im klinischen Alltag auch bei ausgeprägten Psychosyndromen nach 3 bis 4 Monaten der Abstinenz von Alkohol noch alle erstaunende Verbesserungen. Bis zum Erreichen solcher Verbesserungen sind diese Patienten zumeist im Umgang mit alkoholhaltigen Substanzen in Nahrungsmitteln (z.B. Yes-Törtchen, Rum- Trauben- Nuss-Schokolade) kaum kritikfähig. Ein solcher Rückfall kann nicht zwingend zur Entlassung führen; zunächst ist zu klären, inwieweit das Versorgungs- und Sicherungssystem ausreichend in Szene gesetzt worden ist. Dann gilt es zu beurteilen, ob vor dem Hintergrund eines Versorgungs- und Sicherungssystems, wie eine Fachklinik es bieten und leisten kann, ein solcher Patient behandelbar ist. Falls diese Frage verneint werden muss, erfolgt eine Entlassung bzw. eine Verlegung.

Ähnliche Überlegungen müssen auch für früh gestörte Borderline-Patienten gestellt werden, die durch eine Therapie erhebliche Verbesserungen ihrer Persönlichkeitspathologie erreichen können; in den ersten Tagen und Wochen sind sie durch massives Agieren und Impulskontrollverluste gefährdet, dieses Ziel zu erreichen. Bei einigen zeigt sich die Schwere der Störung – meist gar nicht überraschend – durch einen Rückfall, so dass eine Behandlung im stationären Rahmen des Rehabilitationsauftrages nicht möglich ist. Hier handelt es sich um Patienten, die durch die Dichte des Kontaktes und die geringen Möglichkeiten, sich in einer großen Klinik völlig zurückzuziehen, gefährdet sind und die ein >reizärmeres< Milieu, zumeist in einer kleinen, überschaubaren Einrichtung, benötigen.

Diese beiden Patientengruppen verweisen deutlich auf ein grundsätzliches Problem: Wie können, insbesondere früh gestörte Patienten, angemessen vor einem Rückfall geschützt werden? Neben die bereits erwähnten Aspekte des äußeren Schutzes (Einschränkungen in der Ausgangsegelung, Dreierausgang, Kontrolle des Gepäcks und der Post auf Suchtmittel) tritt die Notwendigkeit, auf die Grundlage einer gut erhobenen Anamnese und gesicherten Strukturdiagnose die Ich-Funktions-Defizite zu erkennen. Das Therapieziel, die Antizipationsfähigkeit zu verbessern, also das Vorhersehen von schwierigen Situationen, das Vorhersehen eigener Reaktionen in schwierigen Lagen und das Vorhersehen, wie man auf Menschen wirkt, wenn man dieses tut oder jenes lässt, gehört praktisch in den Therapiezielkatalog aller Abhängigkeitskranken. Das Antizipieren rückfallgefährdender Situationen kann sinnvollerweise so geleistet werden, dass der Therapeut Hilfs-Ich-Funktionen übernimmt: In einem gewissen Umfang sieht er vorher und muss sich um ein Vorhersehen bemühen, wann und wo dieser Patient Gefahrensituationen erleben wird, sie aber auf der Grundlage seiner Defizite nicht angemessen kritisch vorhersehen und schon gar nicht bewältigen kann. Aufgabe der Klinik war und ist es, diese therapeutische Qualität vor dem Verdacht co– süchtigen Verhaltens abzugrenzen und diese Unterschiede plausibel und erlebbar zu machen.

Angst und Krankheit – Angst und Klarheit

Krankheit macht Angst: Nicht nur demjenigen, der darunter leidet, sondern auch dem und denjenigen, die mit diesem Leid konfrontiert sind. Das Ertragen des Leides eines Kranken ist Thema, Superversionen widmen sich diesem Aspekt. Die Möglichkeit, Leid zu bessern bzw., wenn es nicht zu bessern ist, es zu ertragen, ist Grundlage der Arbeitszufriedenheit.
Grundsätzlich kann gelten, dass medizinische Versorgungssysteme und auch Krankheitsmodelle eine angstbindende Funktion haben.

Krankheit ist im klassischen Modell im Patienten angesiedelt, aus der Sicht des Behandelnden und Versorgenden also > draußen<; außerhalb von ihm, hat mit ihm also nichts bzw. nur wenig zu tun. So wird die Beziehung zu einer Infektions- oder auch Tumorerkrankung dargestellt, und sie scheint die Asymmetrie der Beziehung Helfer / Kranker zu rechtfertigen: Der eine kann und weiß, der andere kann nicht und weiß nicht.

Im Falle der Abhängigkeit, wo sich Krankheit im psychosozialen Raum entfaltet, werden Zusammenhänge vielgestaltiger: Das gelegentlich scharf abgelehnte medizinische Modell findet dann doch wieder Verwendung, wenn Patienten rückfällig werden. Und nicht wenige Missverständnisse ziehen sich durch die Unterschiedlichsten Argumentationsketten.

Nach stattgehabtem Rückfall müsse eine Entlassung sich eben verbieten – so wird argumentiert -, weil Rückfälle die ausgeprägteste Form der Krankheit Abhängigkeit darstellt. Und angeblich käme kein Mensch auf die Idee, auf dem Gipfelpunkt einer Erkrankung einen Patienten aus einer Klinik zu entlassen; mit einem solchen Aspekt wird eine Weiterbehandlung in der Klinik > medizinisch< gerechtfertigt.
Das greift zu kurz und daneben; denn grundsätzlich wird in allen Fällen von Patienten erwartet, dass sie selbst schädigende Verhaltensweisen im Rahmen ihrer stationären Behandlung möglichst unmittelbar einstellen. Das gilt für den Herzinfarktpatienten, von dem ein Rauchverbot erteilt wird, ebenso wie für den Diabetiker, der sich sofort anderer Ernährungsgewohnheiten befleißigen muss, wie auch für den Gichtkranken, von dem man erwartet, sofort den Verzicht auf den Genus von Fleisch zu akzeptieren. Mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit, hier also konkret sofortiger Verzicht auf selbst schädigendes Verhalten, wirft auch in der Organmedizin das Problem und die Frage auf, wie damit umzugehen ist. Trotz tragischer Fortentwicklung einer Erkrankung ist eine Beendigung der Zusammenarbeit in diesen Bereiche auch denkbar und möglich.
Auch unsere eigene Klinikgeschichte hat Beispiele dafür, wie > medizinische< Analogien und Erklärungsmuster im Konflikt herangezogen werden. In den ersten Jahren erfolgte die Entlassung eines rückfällig gewordenen Patienten (der von einem solchen Ablauf allerdings von Anfang an informiert war) mit der Maßgabe, ihn nicht wieder aufzunehmen. Begründet wurde das mit dem Argument, dass ein einmal eingesetztes Medikament (die Fachklinik) sich als wirkungslos erwiesen habe und deshalb eine neue Verwendung desselben Medikamentes wohl kaum sinnvoll sei. Hier wird eine Beziehungsproblematik ( Patient / Therapeut ) in eine > objektive< , sachlich pharmakologische überführt und somit der Reflexion der eigenen Position die Grundlage erschwert.
Ähnlich auch in den Argumentationszusammenhängen, wo eine Entlassung zu erfolgen hat, um die > Ansteckungsgefahr < anderer Mitpatienten zu verhindern: So wie man krankes Gewebe entfernen müsse, um gesundes zu erhalten.
Es ist bekannt, dass solchen > chirurgischen< Phantasien Mitpatienten in aller Regel zunächst sehr aufgeschlossen sind.


Es fällt nicht schwer, das Verwenden so genannter medizinischer Argumentation und das Verhalten von Institutionen und Therapeuten als projektive Identifikation zu erkennen. Damit ist gemeint, dass alles Böse und Schlimme im anderen angesiedelt und dort verfolgt wird. Diese Verfolgung des Bösen kann ausgeprägte Formen annehmen, in dem man entweder nie mehr etwas mit diesem Patienten zu tun haben will (leicht zu verstehen als eine Abwehroperation gegen die Kränkung der Institution, die nur >gute< Patienten behandeln will), oder in Rückmeldungen und Berichten an Beratungsstellen bzw. Leistungsträger, wo mehr oder minder unverblümt die > Verfolgung< dieses Patienten empfohlen wird.
Rost (1987) hat darauf hingewiesen, wie sehr Therapeuten und Institutionen in der Gefahr stehen, sich durch Gegenübertragungsagieren zu entladen und zu entlasten und die Beendigung des therapeutischen Verhältnisses wegen Rückfalles als mögliche Gegenübertragungsaggression interpretiert.

Das zähe Festhalten an der Rubrik > disziplinarische Entlassung < im Falle eines Rückfalles scheint mir auch durch den Mechanismus der projektiven Identifikation erklärbar. Nur zu gut wissen Therapeuten, egal welche Ausbildungsrichtung, dass mit Hilfe von >Disziplin< das Suchtgeschehen nicht zu beherrschen ist. Da spielen vor– und unbewusste Gesichtspunkte eine viel zu bedeutsame Rolle.

Genauer ist es jedoch, davon zu sprechen, dass während der stationären Rehabilitation zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einem bestimmten Rahmen, in einer bestimmten Konfliktlage eine Motivation zur Abstinenz nicht bestand bzw. die vorhandene Motivation nicht ausreichte, um die Abstinenz zu gewährleisten. Insofern erfolgt in unserem Hause die Entlassung wegen >mangelnder Abstinenzmotivation während der stationären Rehabilitation<.

Ich möchte noch auf der Seite der Institution bzw. der Therapeuten bei der Analyse der Entwicklung des Umganges mit Rückfällen in unserem Hause bleiben. Währenddem durch Weiterbildung einfach zugänglich zu machen war, dass die Krankheit Abhängigkeit sich im psychosozialen Raum entfalten muss, dass der Therapeut im Rahmen dieser Entfaltung unentrinnbar Objekt der Phatologie des Patienten ist und es sich im Rückfallfall um eine negative therapeutische Reaktion handelt (der man sich zum Beispiel mit Hilfe der Darstellung von Sandler, 1979, annähern kann), machte die Analyse des Einzelfalles Unlust, Angst und Probleme. Diese Angst und Unlust fand sich auf allen Ebenen in der Klinik und hatte das ungute Gefühl zur Grundlage, etwas falsch gemacht zu haben und an etwas schuld zu sein: Eine Entdeckung machen zu müssen, die es schwer erträglich macht, die Vergangenheit (oder die nähere Zukunft) zu ertragen. Gewiss war, dass das Rückfallgeschehen etwas mit der <Institution und dem Therapeuten zu tun hat, zugleich hinderte uns unsere Angst und Unlust vor der Entdeckung des Geheimnisses.

Eine konstruktive Wende war erst möglich, nachdem wir begannen, uns Rechenschaft darüber abzulegen, woher unsere Schwierigkeiten kamen, eine solche Analyse jenseits der Schuldfrage zu thematisieren: Unstrittig war und ist, dass grob– fahrlässiges Handeln eines Therapeuten schuld an einer Rückfallentwicklung (und überhaupt an negativen therapeutischen Prozessen) bewirken kann. Solche Ereignisse stellen aber nicht das alltägliche Problem dar; viel eher bildet sich in diesem Thema die Phatologie der Krankheit Abhängigkeit ab, die sich unter anderem darin zeigt, dass viele Patienten scheinbar unkorrigierbar von ihrer Schuld für diese Krankheit sprechen. Andere thematisieren dieses Problemfeld negativ, indem sie auch ihre Rückfälle damit verteidigen, dass sie schließlich an ihrer Krankheit nicht schuld seien. Dieses Festhalten an der Kategorie Schuld hat eine Abwehrfunktion: Beim Beharren auf Schuld kann die Frage der Verantwortlichkeit nämlich nicht angemessen Thema werden und eine Bearbeitung wird unmöglich. Die Lösung der Schuldfrage muss nämlich von außen kommen (durch einen Richter bzw. Gott, Verantwortung ist aber Thema des Einzelnen, der sie sucht und übernimmt. Eine solche Unterscheidung hilft in der täglichen Arbeit und auch dem Rückfallfalle, unsere Verantwortlichkeit zu suchen uns sie zuzuweisen, und sie zugleich von der Schuldfrage auch abzutrennen.

Auch das so genannte Co – Verhalten lässt sich unter diesem Blickwinkel betrachten: Wenn Angehörige „Gnade vor Recht“ gehen lassen, dann deshalb, weil sie sich in der Gesamtentwicklung beteiligt und zumeist auch schuldig fühlen; Grenzen ihrer Beteiligung, ihrer Verantwortung , konnten sie nicht sehen oder klären und schon gar nicht verteidigen.
Nach den Erfahrungen, dass ein erheblicher Teil der Rückfälle sich in den Heimattagen vollzieht, haben wir diesem Aspekt erneut und vertieft Aufmerksamkeit gewidmet. Die so genannte „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ vor den Heimattagen verpflichtet den Therapeuten dazu, sich von der Unbedenklichkeit der Heimattage auch zu überzeugen. Hier sind somit die Pflicht zur Antizipation und die Verantwortlichkeit auch formal geregelt.


Es ist Aufgabe einer Klinik, diese Verschiebung aufzugreifen und sie bearbeitbar zu machen: nämlich diese Verschiebung von Verantwortung auf Schuld. Hilfreich war dabei, dass wir uns nicht mehr scheuten, Fehler zu suchen, die der Institution, die des Therapeuten und die des Patienten – aber in dieser Reihenfolge.

Wir haben uns also die Frage gestellt: Was hat dem Therapeuten / der Institution (und wieso eigentlich?) gefehlt, um diesen Rückfall vorherzusehen und bearbeitbar zu machen?


Fehlersuche ist keine Schuldsuche: Kaum vermeidbar ist der Schreck über das stattgehabte Ereignis Rückfall; Beschämungserlebnisse können nicht ausbleiben, Insuffizienzgefühle lassen sich ebenso wenig unterdrücken bzw. verhindern. Aber nach dem Rückfall befinden sich alle in der Situation, aus der heraus sie es leicht besser wissen können, sofern Gelassenheit, Neugier und Angstarmut sie Fragen stellen lässt.

Eine wichtige Erfahrung in diesem Zusammenhang war der Rückfall mit alkoholhaltigen Speisen von 4 Patienten während eines Wandertages. Die Vielgestaltigkeit der Gründe und Hintergründe läßt sich hier nicht darstellen. Ein Punkt in der Analyse – neben vielen anderen – war ein fehlendes Verständnis des eigenen Umgangs mit alkoholhaltigen Nahrungsmitteln im Kontakt mit Patienten. Es fehlte also ein exaktes Rollen– und Funktionsverständnis, so dass eine Entlassung des Patienten nicht angezeigt war. Dieses Ereignis wurde zum Anlass Umfassender Diskussion über die Verantwortung und Grenzen der Verantwortung des Therapeuten, über seine Funktion als Vorbild und die Grenzen des Vorbildseins. Für die Institution wurde deutlich, wie wenig Platz war, Angst und Unsicherheiten in als >unwichtig< definierten Bereichen zu thematisieren, hier konkret: Eis essen (das Alkohol enthält) beim Wandertag.


Fachverband Sucht e.V.GCAA
GERMAN COUNCIL ALKOHOL AND ADDITION 15



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